2017-12-05 gesellschaftsanalyse Stell dir vor! Galileo Galilei Stell dir vor, du bist Galileo Galilei, hast die Natur der Dinge erkannt, die Herrschenden ignorieren sie aber. Sie krampfen sich an ihr altes Weltbild, an ihre antiquierte Ordnung, wollen die Realitaet nicht sehen, um sich ihr nicht stellen zu muessen. Da- bei beginnen immer mehr im Volk zu sehen und zu leiden und aufzu- begehren und auszuwandern. In den Nachbarlaendern steht man dem neuen Weltbild offener gegenueber, akzeptiert es als Realitaet. Dennoch ist Italien, auch dank Galilei, aber hauptsaechlich auf- grund vergangener Zeiten, die Nummer Eins. Man hat Macht, Geld, Wissen ... alles was es braucht, um weiter voran zu schreiten. Bloss eines hat man nicht: Den Willen oder die Erkenntnis oder die Weisheit diese ausgezeichnete Ausgangssituation zu nutzen, um voran zu stuermen, neue Laender zu entdecken, die Welt zu praegen und zu verbessern. Stattdessen verbeisst man sich in ein ster- bendes Weltbild, scheut Wagnisse, regiert seinen Wohlstand ... und legt es seinem Volk nahe, dies auch zu tun. Wenn jemand mu- tig voran zu schreiten versucht, wird ihm klar gemacht, dass dies unerwuenscht ist. Das geschieht auf eine menschliche aber feige Art. Dem Schlechten zuzuschauen und selber mitzulaufen, denn man koenne ja nichts daran aendern, macht einen ueberfluessig. Noetig ist nur wer fuer Realitaet und Rechtmaessigkeit kaempft. So geht man langsam unter, wird ueberholt werden von den Neuen, denen, die die neuerkannte Weltordnung aktzeptiert haben. Stell dir vor, dieser Galilei stammt nicht aus dem nun langsam zurueck fallenden Italien, sondern aus einem fernen, fortschrittlichen Land, das in diesen Dingen noch viel weiter ist als Italiens Nachbarn und zudem groesser und maechtiger als Italien selbst. Dort hat man verstanden, dass kreative Kopfarbeit und mechanische koerperliche Arbeit wenig miteinander zu tun ha- ben. Man hat verstanden, dass Arbeitsergebnisse die relevante Groesse sind und nicht die Arbeitszeit. Man hat auch die Wichtig- keit von Motivation, Hygienefaktoren, funktionierender Teams, des Wechsels von Anstrengung und Erholung, und und und verstanden. Aber nun ist er hier, in Italien, der Galilei, und leidet. Er leidet unter der Rueckstaendigkeit um ihn herum. Er leidet under der zwanghaften Blindheit fuer die Realitaet. Er leidet unter Paragraphenreitern und Buerokratie. Er leidet unter dem destruktiven Verhalten der Machthaber. Er leidet unter den von ihnen verpassten Chancen. Vielleicht am meisten leidet er unter der Einsamkeit und Fremde -- niemand ist wie er; seine Kultur ex- istiert hier nicht. Wie soll Galilei da gluecklich werden? Er kann Italien helfen. Er kann ihm Fortschritt bringen. Er wuerde es gerne. Die noetige materielle Gegenleistung ist gering. Viel schwieriger ist es, seine Einsamkeit und Fremde abzuschwae- chen. Nicht, dass er die Italiener nicht moegen wuerde, nein, menschlich kommt er gut mit ihnen aus, doch sie verstehen ihn nicht. Er ist ihnen fremd. Sie haben nicht gesehen was er gesehen hat. Sie sind nicht alleine in der Fremde wie er, sie leben in ihrem Italien und kennen nur dieses. Sollte Galilei denn nun dort bleiben? Sollte er das System zu modernisieren versuchen? Sollte er eher ein ruhiges Plaetzchen fernab des Systems suchen? Oder sollte er sich davon machen, in eine Umgebung, wo er sich nicht mehr so fremd fuehlt, sondern verstanden und zuhause? Natuerlich wird man ihm sagen, dass er selbst das Problem sei, dass er sich nur anpassen muesse. Doch wie weit ist er bereit das zu tun, und ab wann wird er dadurch wie sie, weil das der einzige Weg ist, um dort gluecklich zu werden? Egal in welchem Land: An- passung ist der Weg zum Glueck. Erneut sagt er sich: ``Suche dir ein Land, das so ist, dass es dir gut tut; ein Land, wo die Bewohner so sind wie du sein willst!'' Es ist eine kluge Erk- enntnis, doch aeusserst schwer umzusetzen. Heute stellt sich Galilei wieder all diese Fragen. Er befasst sich neu mit dem was er vorerst abgeschlossen glaubte. Das ist schlecht. Es ist destruktiv ... aber vielleicht ist es ja eine schoepferische Zerstoerung ... http://marmaro.de/apov/ markus schnalke