2016-07-20 gesellschaftsanalyse Zerstoerung gesellschaftlicher Errungenschaften De-facto-Pflicht In der Geschichte kehrt alles wieder. Wenn wir von ihr ueberhaupt etwas lernen, dann etwas Identisches wiederzuerkennen. Leider kehrt nichts identisch wieder, es hat stets neue Kleider an. Zu erkennen, dass unter ihnen der gleiche Charakter steckt, das ist die Herausforderung. Wir suchen im Neuen aber bloss das Bekannte; den Schritt zum Unbekannten mit gleichem Charakter schaffen wir selten. Es ging um Krankenversicherungen, bei denen man billigere Tarife bekommt, wenn man mit Koerperueberwachungsfunktionsarmbaendern rum laeuft. Das sei (erst) dann problematisch, wenn es verpflich- tend sei. Solange es optional sei haette man ja die Wahl. Da kommt es nun darauf an, wie diese Verpflichtung gemeint ist, denn es ist nicht wichtig, ob es gesetzliche Verpflichtungen gibt. Der soziale und gesellschaftliche Druck macht es de facto verpflichtend ... und das auf noch schlimmere Weise, denn dagegen kann man mit den politischen Mitteln nicht angehen. Hier hat man nur die Wahl in oder ausserhalb der Gesellschaft zu leben. Nehmen wir Handys: Fuer ein erfuelltes Sozialleben ist es grossteils notwendig ein Handy oder Smartphone zu haben. Ohne Whatsapp ist man inzwischen aus vielen Diskussionen ausgeschlos- sen. Ohne die Moeglichkeit kurzfristige Planaenderungen zu er- fahren steht man alleine am einst vereinbarten Treffpunkt. Die Gruppe akzeptiert es nicht mehr, sich so sehr festzulegen, wie das fuer Handylose notwendig ist. Wenn man sich da als Individuum nicht anpasst, dann kann man nicht teilnehmen. Trotzdem niemand verpflichtet ist ein Handy zu besitzen ist das de facto anders. Und wie ist es mit einem Handwerker auf Montage? Ohne Handy kann er diese Taetigkeit de facto nicht mehr ausueben. Entweder ich lasse mich orten oder ich bin raus. Entweder ich lasse Wirtschaftsunternehmen meine Kommunikation mitlesen und auswerten oder ich bin raus. Das sind ganz schoen harte Entscheidungen ... bei denen mancher keine Wahl sieht. Zurueck zur Krankenversicherung. Wenn erst einmal ein genuegend grosser Teil der Bevoelkerung bereit ist, diese Ueberwachungsarm- baender zu tragen, dann wird es de facto zur Pflicht werden, weil man andernfalls zu grosse Nachteile in Kauf nehmen muss. Das ``Schoene'' daran: Man muss keine unliebsamen oder kontrover- sen Gesetze verabschieden. Man muss auch keinen Druck ausueben, braucht keine Geheimpolizei oder Blockwarte einzurichten. Man muss ueberhaupt nichts tun als dem Volk ``Geschenke'' zu machen (... und dafuer dann sogar noch positives Feedback ernten). An- schliessend wird die Gesellschaft sich selbst in die Richtung draengen, die man gerne haette. Das ist hoechst elegant! Oder aus der anderen Perspektive: Das ist allerschlimmst! Indem ich proprietaere Dienste wie Whatsapp oder Facebook nicht nutze, nehme ich Nachteile auf mich, um der Gesellschaft Gutes zu tun ... und werde dann von ihr dafuer bestraft -- wie destruktiv! Mir ist es wichtig, dass alle an der Kommunikation teilnehmen koennen. Das erfordert, dass sie offen standardisiert und Dritten zugaenglich ist, damit jeder die Moeglichkeit hat, seinen prae- ferierten (womoeglich selbst programmierten) Kommunikationsclient auf der eigenen Hardware zu betreiben. Das ist eine Frage des Vertrauens und fuer manche Menschen darum eine Anforderung. Diese sollen ebenfalls teilnehmen koennen. Ebenso schafft man es nur so beliebigen Randgruppen, wie Blinden oder Gelaehmten, die Teil- nahme zu ermoeglichen. Desweiteren ist mir wichtig, dass kein Unternehmen die Kommunika- tion willkuerlich lenken, filtern oder unterbinden kann, denn das schliesst wiederum Gruppen aus. Ich will nicht, dass ich durch meine Kommunikation getrackt wer- den kann. Ich will nicht ueberwachten werden. Ich will nicht von der Schere im Kopf beeinflusst werden. Letztlich sind dies, wofuer ich kaempfe, Werte, die eine aufri- chtige Demokratie von einer Diktatur unterscheiden. Fuer dieses Bestreben nehme ich Nachteile in Kauf ... soziale Nachteile, zugefuegt von jenen, denen mein Bestreben weitblickend zugute kommt. Natuerlich ist es in der Diktatur angenehmer mitzuspielen. Na- tuerlich ist eine Diktatur super, wenn der Diktator benevolent ist. ... aber auch Google hat sich ja wunderbar von ihrem Leitspruch ``Don't be evil'' geloest. Natuerlich hat Email technische Probleme, aber es hat auch un- schaetzbare gesellschaftliche Vorteile. Diese aufzugeben ist wie eine Demokratie zu opfern, bloss weil man da so viel diskutieren muss. Gegen diktatorische Kommunikationsmittel kann man sich nur in einer Weise wehren: Sie nicht nutzen. Das ist insbesondere deshalb wichtig, weil dort alles vom Marktanteil abhaengt. Nicht anders ist es bei Gesundheitsinformationen fuer Versi- cherungen oder bei Finanzinformationen bei Mietvertraegen: Indem man es sich selbst einfach macht, schadet man anderen ... und letztlich sich selbst. Und nun zur Geschichte: In welcher Weise ist das nun andersartig als der Parteieintritt im Dritten Reich? -- Es ist nicht iden- tisch, aber es hat den gleichen Charakter. Es sterben vielleicht keine Menschen, aber es entsteht ebenso ein gesellschaftlicher Schaden. Viele haben sich gefragt, warum ihre Grosseltern da mitgemacht haben, statt sich dagegen zu stellen. Man haette die Konsequenzen doch sehen koennen. Viele von unseren Enkeln werden sich eines Tages auch fragen, warum wir bei der momentanen Zerstoerung gesellschaftlicher Errungenschaften mitmachen, statt uns dagegen zu stellen. -- Ich weiss, dass ich darauf eine gute Antwort haben will, bei der ich mir im Spiegel in die Augen schauen kann. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke