2016-05-10 gesellschaftsanalyse Bereitwillige Auskunft Falscher Normalzustand Die Welt wandelt sich. Die Gesellschaft wandelt sich. Das sind Auswirkungen der digitalen Welt, gut moeglich. Leider sind es aber nicht jene Einfluesse, die ich mir wuenschen wuerde, sondern solche, die ich lieber nicht haben wollen wuerde. Es ist ein Un- verstaendnis des Datenschutzes, eine Gleichgueltigkeit ihm gegenueber, eine mechanische Bereitwilligkeit persoenliche Daten herauszugeben wenn nur wie selbstverstaendlich danach gefragt wird. Zum Unverstaendnis: Es gibt diese Aktionen, wo Laeden am Kassen- zettel einen Abschnitt haben, mit dem man beim naechsten Einkauf 3% des vorigen Einkaufspreises gutgeschrieben bekommt. Als ich meine Elterngeneration danach gefragt habe, was die Unternehmen von so einer Aktion haetten, fuehrte diese nur den Kon- kurrenzdruck und die Kundenbindung an. Da ist sicher etwas dran, gerade an zweiterem. Wenn ich aber das Unternehmen waere, wuerde ich die Aktion auch aus anderen Gruenden machen: Auf diese Weise lassen sich super Kundenprofile erstellen. An der Kasse wird ja nicht nur ein Gutschriftbetrag eingegeben, nein, es wird ein Bar- code gescannt. Darin wird eine Transaktionsnummer stehen. Und schon weiss man als Unternehmen, was wann wo von der gleichen Person gekauft worden ist. Hausfrauen, Berufstaetige, Schueler, etc. zu unterscheiden ist einfach. Wohnregionen, Arbeitsregionen, Pendelwege erfaehrt man ebenso. Diese Moeglichkeiten entstammen der Welt der Big Data, die die allermeisten Menschen noch nicht begreifen koennen. Was die Gutschriftaktion dazu beitraegt ist die Verknuepfung sonst separater Einkaeufe. Datensammeln ist in. Wer weiss, was man mit Software daraus noch alles an Information wird ziehen koennen! Die Frage ist nur, wie man an die Daten kommt. Der uebliche Weg ist, sie zu erkaufen, mit solchen Gutschriftaktionen oder mit kostenlosen Services (Facebook, Google, etc.). Je weniger der Dateninhaber merkt, dass man an seinen Daten interessiert ist, desto billiger bekommt man sie. Interessanterweise (oder eher erschreckenderweise) bekommt man sie sogar ohne Gegenleistung, und das nicht mal wenn man lieb bittet, sondern wenn man so tut als sei es das Normalste der Welt, private Daten an Unternehmen herauszugeben. Dann machen die Leute einfach mit ... Im Elektronikmarkt Conrad and der Kasse: Nachdem die Artikel ges- cannt sind fragt die Kassiererin: ``Wie ist denn Ihrer Postleit- zahl?'' Die Kunden geben Auskunft. Ich bin der einzige, der diese verweigert. Ich werde komisch angeschaut, wie wenn ich gegen die gesellschaftlichen Normen verstossen haette. Dabei ist es umgekehrt. Beim zweiten Einkauf war die Frage nach meiner Postleitzahl schon gar keine Frage mehr sondern ein Befehl: ``Ihre Postleitzahl!'' ... hat bei allen anderen wunderbar funktioniert ... bevor die auch nur zu denken angefangen haben! (Boris ueber diese Erfahrung bei Facebook und Co. schon mal geschrieben.) Ich frage mich, ob es nicht sinnvoller waere, Falschangaben zu machen, statt gar keine. Haette ich als Postleitzahl besser 12345 nehmen sollen? Oder gar 00000? Fuer die statistische Auswertung am Ende waeren solche Ausreisser aber schnell eliminiert. Also muesste man schon falsche aber plausible Werte angeben, um den Ergebnissen so zu schaden, dass Unternehmen solche Aktionen zu- kuenftig nicht mehr durchfuehren. Vermutlich wird es aber erfol- greicher sein, zu verweigern, weil das staerker auf die Personen wirkt, die nach einem in der Kassenschlange stehen. Es geht noch unverschaemter. Ich pendle taeglich im Zug. Diese Zeit nutze ich zum Schreiben (so wie jetzt), zum Lesen, zum Pro- grammieren, zum Nachdenken, zum Musikhoeren -- alles sind Taetig- keiten, die Ruhe und Konzentration benoetigen. Gestoert werden diese normalerweise nur durch die Fahrkartenkontrolle, zwangslaeufig. Nun sind aber alle paar Monate mal Personen im Zug unterwegs, die die Reisenden zu ihrer Fahrstrecke und ihrem Fahrzweck befragen. Von mir aus koennen die das gerne tun, wenn sie freundlich fragen wuerden, ob sie fragen duerfen, und wenn sie mich ungestoert lassen wuerden, wenn ich in ein Buch vertieft bin. Die Realitaet ist aber, dass diese Personen mit der Selbst- verstaendlichkeit eines Fahrkartenkontrolleurs auftreten. Sie enthalten dem Passagier die Moeglichkeit vor abzulehnen. Dementsprechend ist das Ergebnis: Alle geben bereitwillig Auskunft. Unerfahrene (z.B. Auslaender) werden gnadenlos aus- genommen. Ich war eigentlich in ein Buch vertieft, habe aber das Geschehen weiter vorne im Wagen aus den Augenwinkeln doch verfolgt. Dann kam er zu mir. Dass ich Kopfhoerer im Ohr hatte und in einem dicken Buch las hielt ihn nicht davon ab, mich zu stoeren. Als ich direkt und entschieden ablehnte (``Kein Interesse'') liess er noch nicht locker: Dann sollte ich ihm halt nur meine Fahrkarte zeigen. -- Er hatte ueberhaupt nicht verstanden worum es ging. Selbst als ich nochmal ablehnte quengelte er noch: Dann sollte ich ihm nur verraten bis wohin ich fahren wuerde. -- Es war wie wenn er Hunger leiden wuerde und ich haette einen Korb voll Brot dabei. Dabei bin ich der Arme, der seine privaten Daten gegen die Ausbeutung durch Unternehmen verteidigen muss. Sowohl der Befehlston als auch die Mitleidsmasche sind eine Frechheit. Das Erbeuten von privater Information auf diese Weise sollte als Verstoss gegen die guten Sitten erachtet werden. Eine Ablehnhaltung sollte die normale Reaktion sein, aber anscheinend ist die Bevoelkerung schon gut genug konditioniert. http://marmaro.de/apov/ markus schnalke