2014-11-10 gesellschaftsanalyse Soziale Verpflichtung Wir sind verschieden! Ein Leitsatz meines Lebens stammt von Dijkstra: You must not give the world what it asks for but what it needs. Ich halte viel von dieser Sichtweise, aber wenn man genau hin- schaut, dann ist sie mir nur eine Rechtfertigung meines Verhal- tens, das jedoch gar nicht unbedingt die ``Noete der Welt'' im Blick hat. Tatsaechlich lese ich diese Worte viel eher so: You should not give the world what it asks for but what you can give it. Ich denke, dass das eine unerlaubte Interpraetation ist. Vor al- lem ist sie aber (wenn man es negativ sehen will) eine Rechtfer- tigung jeglichen Handelns. Sie macht es einem einfach, denn die Bewertung aller Taetigkeit haengt damit nur von einem selbst ab. Die ``Welt'' aber muss nehmen was sie abbekommt, egal ob sie das will oder nicht. Ganz anders in den Originalworten. Dort steht zwar nicht der Wunsch aber doch die Notwendigkeit im Mittelpunkt, und zwar die Notwendigkeit in der Welt. Der Auftrag, sich diesen ``Noeten'' zu widmen, kann kaum als Rechtfertigung herangezogen werden. Er ist vielmehr eine moralische Verpflichtung. Dijkstras Worte verschieben bloss die Ausrichtung zur Notwendigkeit hin. Dadurch wird der Anspruch aber nur hoeher. Statt die bequeme Rechtfertigung zu bieten, die ich so gerne darin sehen will, for- dert Dijkstra tatsaechlich eine hoehere moralische Verpflichtung. Meine unerlaubte Interpraetation soll aber noch eine Chance bekommen. Bisher habe ich nur ihren bequemen Rechtfertigung- saspekt betrachtet. Man kann allerdings auch eine hohe moralische Verpflichtung sehen. (Die nebensaechliche Wahl von ``should'' an Stelle von ``must'' soll hier aussen vor bleiben.) Statt die ``Noete der Welt'' stelle ich die Faehigkeiten und Talente des Einzelnen in den Fokus. Diese, seine Moeglichkeiten sollte der Einzelne bestmoeglich einsetzen. ... Fuer was? Die spontane Antwort lautet natuerlich ebenfalls: Zum Wohle der Welt (und ich wuerde auch immer die ``Noete'' ueber die Wuensche stellen). Eigentlich will ich diese scheinbar klare ethische Wertung aber nicht vorgeben, denn ich glaube nicht, dass es sie gibt. Ich glaube, dass Gut und Boese vollumfaenglich relativ sind, dass so- gar unsere moralischen Grundpfeiler umstoesslich sind. Damit muss ich jede Art zentraler Wertvorstellungen in Frage stellen. Was letztlich bleibt ist die Vielfalt der individuellen Wertvorstel- lungen. Die Basis der Gemeinschaft sollte deshalb, meiner Meinung nach, nicht darin liegen, dass man sich auf gemeinsame (zentrale) Wertvorstellungen einigt, sondern darin, dass jeder nach seinen Faehigkeiten und seiner eigenen Ethik verpflichtet zur Gemein- schaft beitraegt. Der Leitspruch dieser Gemeinschaft waere dann nicht ``Wir sind gleich!'' sondern ``Wir sind verschieden!''. (Anm: Die Uebersetzung von ``needs'' machte mir einige Schwierig- keiten. ``Beduerfnisse'' ist mir zu sehr Wunsch (zu dem abgegrenzt werden sollte) und ``Noete'' zu sehr Notfall und Ka- tastrophe. Ich habe mich deshalb fuer den Begriff in An- fuehrungsstrichen entschieden.) http://marmaro.de/apov/ markus schnalke