2014-01-07 gesellschaftsanalyse Das Erbe Bernays Augenoeffnend Fast ein Jahr nachdem mir Boris die Dokumentation ``The Century of the Self'' [0] [1] der BBC von 2002 ans Herz gelegt hat, habe ich sie jetzt endlich auch angeschaut. Welch eine Erleuchtung das war! Vier Stunden englischsprachigen Dokumentarfilms sind nicht jeder- manns Sache und doch sollte man sich, auch wenn es schwer faellt, dazu durchringen. Ich habe gewiss einen offenen, hinterfragenden Blick auf die Welt; dieser wurde entscheidend erweitert und gefestigt. Ein neues Verstaendnis ist erwachsen. Die Illusion ist staerker durchbrochen. Unsichere Gefuehle wurden in Worte und Beispiele gekleidet. Es war ein Blick hinter die Kulissen, der meine explizite Wahrnehmung stark aufgeklaert hat. Natuerlich gibt jede Dokumentation eine subjektive Sicht der Welt wider, das muss man bedenken. Mir geht es in erster Linie um den Informationsanteil, die vielen Einstiegspunkte zur eigenen Meinungsbildung. Alleine der Verweis auf Edward Bernays ist die Dokumentation wert. Wie kann es nur sein, dass nicht jeder Schu- eler von Bernays hoert? Waere das nicht angemessen, wo er unsere Gesellschaft wohl staerker gepraegt hat als Marx? Sein Wirken erklaert das Ist unserer Gesellschaft in grossem Masse. Schuldet man dessen Verstehen nicht der Aufklaerung? Wie kann das dann von der Bildung ignoriert werden? Und um anzugreifen: Sind unsere heutigen Probleme der fehlenden Nachhaltigkeit nicht nur Folgen von Bernays Erfolgen? Er war es schliesslich, der den Citizen zum Consumer gemacht hat. Er war es, der in unseren Koepfen den Wandel von der Notwendigkeit zum Begehren (``the change from need to desire'') angetrieben hat. Und nun graebt das Begehren vielleicht unser Grab. Zumindest aber geht es bei den Nachhaltigkeitsueberlegungen immer um den Rueckzug vom Begehren zur Notwendigkeit. Dazu muss man doch Ber- nays kennen und verstehen lernen! Die bewusste und intelligente Manipulation der organ- isierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiges Element in der demokratischen Gesellschaft. Wer die ungesehenen Gesellschaftsmechanismen manipu- liert, bildet eine unsichtbare Regierung, welche die wahre Herrschermacht unseres Landes ist. [2] Dieses Denken hat unsere Gesellschaft tiefgreifend gepraegt. Seine Grundannahme, dass es Massen(-menschen) gibt, die von an- deren Menschen kontrolliert werden sollen, dass also manche Men- schen andere kontrollieren sollen, steckt in all den Einfluessen, mit denen er unsere Gesellschaft gepraegt hat -- und er hat sie ueberaus erfolgreich gepraegt, ueber viele Jahrzehnte. Wie laesst sich das mit einem aufgeklaerten Menschenbild verein- bahren? Und wenn nicht, muessen wir dann nicht unsere gesamte Gesellschaftsordnung in Frage stellen? Oder hat Bernays Recht, dass so viele Menschen auf engem Raum nur durch Betaeubung und Kontrolle -- Brot und Spiele -- funk- tionieren koennen? Hat die Menschheit bereits den Punkt ueber- schritten, bis zu dem ein humanistisches Menschenbild funk- tionsfaehig war? [0] http://en.wikipedia.org/wiki/The_Century_of_the_Self [1] http://archive.org/details/TheCenturyOfTheSelf [2] Edward Bernays - Propaganda http://marmaro.de/apov/ markus schnalke