2009-06-12 gesellschaftsanalyse Beim Warten auf den Bus oder: Kein absolutes Zeitgefühl Schockt mich das was ich erlebt habe oder bestätigt es mich? Alles nur weil ich kein absolutes Zeitempfinden habe. Manchmal fahre ich mit einer anderen Buslinie. Dazu muss ich einen guten Kilometer bis zu Haltestelle laufen. Die entscheidende Frage ist dann immer: Wie früh muss ich losgehen, damit ich den Bus nicht verpasse und auch nicht allzulange auf ihn warten muss. Entscheidender ist natürlich ersteres, zweiteres ist nur ein nettes Nebenziel. Die Lösung auf diese Frage hängt davon ab wie lange ich für die Wegstrecke brauche ... was ich leider nicht weiß, denn ich habe nie gemessen. Ich gehe also grob zwanzig Minuten vorher los, laufe nach meiner Einschätzung der verbleibenden Zeit schneller oder langsamer bis ich an der Haltestelle angekommen bin. Wieviel Uhr es dann ist weiß ich nicht, weil ich, wie ich vielleicht erwähnen sollte, keine Uhr habe ... und eben auch kein absolutes Zeitgefühl. Vermutlich ist der Bus noch nicht da gewesen, denn ich plane meist großzügig. Das heißt, ich warte einfach. Ich warte und warte, schaue dir Landschaft an, den Himmel, beobachte die Schafe gegenüber, übe die Zahlen auf Spanisch, vertreibe mir also die Zeit. Irgendwann denke ich mir: Ist es nicht längst Zeit? Müsste der Bus nicht schon da sein? Ist er vielleicht schon abgefahren be- vor ich da war? Man kennt das ja, wenn man, wie ich, keine Uhr und kein absolutes Zeitgefühl hat. An manchen Tagen wenn ich das Gefühl habe besonders lange gewar- tet zu haben, so wie heute, wünsche ich mir es gäbe irgendwo eine Uhr auf die ich kurz einen Blick werfen könnte. Doch kein Kir- chturm ist nah genug um die Uhr ablesen zu können. Auch dsa Schlagen der Glocken wird im Normalfall nicht so weit getragen. Es laufen auch keine Menschen umher die ich fragen könnte. Da ist nur die Straße mit mäßigem Verkehr vor mir und eine Menge uhrlose Natur um mich. Die einzige Möglichkeit an die Uhrzeit, und damit an Gewissheit, zu kommen besteht darin ein Auto anzuhalten und nach der Zeit zu fragen. Es ist nicht mein liebster Zeitvertreib Autos anzuhalten und nach der Zeit zu fragen, deshalb verzichte ich meist darauf und warte in Ungewissheit weiter. Falls der Bus sich jedoch zu lange Zeit lässt wird die Unsi- cherheit so groß, dass man die Uhrzeit doch wissen will. So war es heute. Ich habe mich also direkt an die Straße gestellt und auf ein Auto gewartet dessen Fahrer so aussieht als habe er es nicht furchtbar eilig. Da kam ein weißer Sprinter mit einem älteren Herren am Steuer angerollt. Ich habe ihm also signalisiert anzuhalten. (D.h. beide Hände mit offenen Handflächen Richtung Boden mehrfach lang- sam nach unten bewegt -- wie man das halt in der Fahrschule lernt.) Der Fahrer sprach direkt darauf an, er bremste ab, wurde langsa- mer ... ... doch plötzlich, etwa fünfzig Meter vor mir, startete er unerwartet durch, beschleunigte und versuchte schnellstmöglich an mir vorbei zu kommen! Es muss wohl der Moment gewesen sein an dem er mein Gesicht (meinen Bart!) erkannte. Er musste wohl plötzlich keine Lust mehr gehabt haben zu hören weshalb ich ihn anhalten will. Was denkt man wenn man knapp sechzig ist, gemütlich mit seinem Lieferwagen durch die Gegend fährt, von einer Person am Straßenrand gebeten wird anzuhalten ... und dann, beim Näherkom- men erkennt, dass diese Person aussieht wie ich? Hatte er Angst dass er mich mitnehmen soll? (Hippies!) Hatte er gar Angst, dass ich ihn am hellichten Tag auf befahrener Straße ausrauben will? (Ich? Haha!) Warum ist er durchgestartet, so plötzlich? Wüsste ich nur die Antwort, so könnte ich mich wohl auch entscheiden, ob ich geschockt bin oder ob es nur bestätigt was ich erwarte .. von dieser Gesellschaft. Traurig ist es allemal! http://marmaro.de/apov/ markus schnalke