2008-03-21 gesellschaftsanalyse Märchen FSK16 angebracht? Märchen sind ein fester Bestandteil der Kindheit -- wer könnte sie sich schon ohne sie vorstellen? Dornröschen, Schneewittchen, das Rumpelstilzchen, Max & Moriz, sie sind uns so bekannt wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Vielleicht bekannter noch als Mickey Maus (zumindest in Deutsch- land). Märchen sind wohl die ersten Geschichten die man als Kind kennt, uns sie werden wahrscheinlich auch die letzten sein, die man als Opa seinen Enkeln erzählt. (So jedenfalls könnte es sein.) Märchen sind Volksgut, Kultur, ja ein grundlegender Pfeiler der Gesellschaft. Geschichten und Lieder erzählen die Geschichte eines Volkes; sie sind ein Teil seiner Identität. Das vielleicht bekannteste Märchen hierzulande ist das von Hänsel und Gretel. Wenn man es hört, dann denkt man sich nichts beson- deres dabei. Man erzählt es seinen Kindern, weil für Kinder ist sie schließlich da, und das ist okay. Doch wenn man es sich recht überlegt, dann ist es ziemlich böse, dass die Kinder die Hexe am Ende in den Herd werfen. Sie töten einen Menschen! Das muss man mal bedenken: Eine der ersten Geschichten, die man seinen Kindern erzählt, ist die von zwei Kindern, die eine alte Frau töten ... und das mit gutem Gefühl! Vielleicht ist es dann schlichtweg nicht verwunderlich, dass die Menschheit schlecht ist, wird den Kindern doch schon gelehrt, dass es gut ist ein Ge- bot zu brechen: Du sollst nicht töten! Jetzt wird natürlich das Argument kommen, dass eine Hexe ja kein Mensch ist. Das Gebot sagt nichts von Menschen. Aber die Hexe symbolisiert das Böse, sie ist nicht als Person zu sehen. Bei den Hexenverbrennungen im Mittelalter sind also keine Menschen gestorben? Zudem wäre hier die philosophische Frage zu disku- tieren, ob man den Teufel töten darf, hätte man die Gelegenheit dazu. Ein weiterer Einwand wäre das Böse, das die Hexe den Kin- dern antun wollte. Mit diesem Argument schießt man sich allerd- ings selbst in den Fuß, denn die Hexe wollte nur Böses tun, die Kinder aber taten es! (Wie ein frühzeitiger Krieg um einen wahrscheinlichen späteren zu verhindern ... absurd!? ... Realität?!) Zudem rechtfertigt böses Handeln keine böse Reak- tion. Und dann wird auch noch Rache gutgeheißen! Das ist doch verrückt, was wir unseren Kindern (als erstes!) mit auf den Weg geben! Seltsamerweise realisiert man das als Kind gar nicht. Ich denke, dass Kinder die Situation fast nur über die Stimmung und die vorweggenommene Beurteilung durch Andere wahrnehmen. Wenn also die Mutter durchblicken lässt, dass es gut war, die Hexe ins Feuer zu stoßen, dann war das gut. Dass dies gleichzeitig heißt, dass eine alte Frau von zwei Kindern getötet wurde, das real- isieren die Kinder nicht. Was sie nicht realisieren, ist nicht -- so könnte man es sehen. Zum ersten Mal so richtig aufgefallen ist mir die Gewalt (und ihre Gutheißung), als ich letztes Jahr das amerikanische Märchen ``Der Zauberer von Oz'' gelesen haben. (In Deutschland kennt man es meist nur dem Namen nach. In den USA hat es aber eine Bekanntheit wie etwa Aschenputtel bei uns.) Ich fand es ziemlich hart, wie der Blechholzfäller mit seiner Axt einfach ein Rudel Wölfe abschlachtet, und das dann als große Tat gefeiert wird. Sofort kamen aus allen Richtungen Rudel von großen Wölfen angelaufen. Sie hatten lange Beine, grimmige Augen und scharfe Zähne. [...] ``Das ist mein Kampf'', sagte der Holzfäller, ``stell dich hinter mich, und ich werde ihnen einen schönen Empfang bereiten.'' Er packte seine Axt, die er sehr gut geschärft hatte, und als der Leitwolf herankam, ließ er seinen Arm mit der Axt niedersausen und schlug dem Wolf den Kopf ab. Er was auf der Stelle tot. Der Blechholzfäller hatte gerade noch Zeit, die Axt wieder zu heben, da sprang ihn schon der nächste Woilf an. Auch er fiel unter der scharfen Klinge. Vierzig Wölfe waren es insgesamt, und vierzig Mal sauste die schaf geschliffene Axt des Blechholzfällers nieder, sodass sie zum Schluss alle in einem großen Haufen tot vor ihm lagen. Da setzte er die Axt ab und stellte sich neben Krähenschreck, der sagte: ``Das war ein guter Kampf, mein Freund.'' [0] Typisch amerikanisch möge man denken, die schlafen ja auch mit der Waffe unter dem Kopfkissen. Doch unsere Märchen sind viel- leicht noch brutaler. (Immerhin sterben da Menschen und keine Tiere.) Auslöser für diesen Artikel ist die Geschichte von ``Peterchens Mondfahrt'', die ich in den letzten Tagen als Hörspiel (von [1] ) angehört habe. Darin wird der Mondmann dafür bestraft, dass er die Kinder fressen wollte. Nicht nur dass er geschlagen, mit kaltem Wasser bespritzt und fast von einem Baum zerquetscht wird (Foltermethoden!?), er wird schließlich geblendet und schlägt sich dann die Knie an spitzen Steinen an, ``dass das Blut nur so spritzt''. Ich muss bekennen, dass ich grinsen musste (als das Blut nur so spritzte), es war einfach so lustig gesprochen. Aber das ist konfus, schreibe ich doch hier davon, dass in Märchen zu viel Gewalt ist und diese auch noch gutgeheißen wird. Und vor noch nicht einmal einem Tag grinse ich noch während von eben diesem erzählt wird. (Oder schreibe ich vielleicht genau deshalb ...) Ich war nicht der Einzige der gelacht hat. Die Kinder (Peterchen und Anneliese) ``mussten laut lachen, denn dies sah einfach zu komisch aus''. Zwei Kinder die immer brav waren (das betont die Geschichte ja besonders) lachen lauthals über das Leid anderer! ... aber der Mondmann hatte es schließlich auch nicht anders verdient, oder?! Ja, diese Märchen sind schon eine scheinheilige Welt (wenn man es genau nimmt). Wichtig an ihnen ist aber etwas anderes: Sie geben dem Bösen ein Gesicht. Es wird greifbar und kann ``getötet'' werden. Auch ist zu jedem Zeitpunkt ganz offensichtlich wer böse ist und wer nicht. So kann man Angst verpacken und ein Sicherheitsgefühl schaffen. Deshalb sind Märchen wichtig. (Auch für Erwachsene) Abschließend will ich nicht versäumen ein paar Märchen aufzuzählen, die mir gut gefallen. Ein richtiges Lieblingsmärchen habe ich nicht, aber ich würde doch wohl Hauffs ``Das kalte Herz'' angeben. Aber vielleicht ist es auch ``Tischlein deck dich!''. Bei den Verfilmungen muss unbedingt ``Drei Haselnüsse für Aschenbrödel'' angeführt werden. Eine sehr schöne Produktion von 1973, die jährlich in der Weihnachtszeit zu sehen ist. Und das moderne japanische Märchen ``Prinzessin Mononoke'' ist auch einer Erwähnung wert. Sicher habe ich weitere tolle Märchen nicht aufgezählt, und die Grenze zu Sagen (wie den Niebelungen oder Rübezahl) ist ja fließend. Ich finde es hoch interessant, derartige Kindergeschichten als Erwachsener bewusst nochmal zu lesen und darüber auch nachzudenk- en. Ich kann es nur empfehlen. [0] L. Frank Baum -- Der Zauberer von Oz [1] http://vorleser.net http://marmaro.de/apov/ markus schnalke