2007-07-17 gesellschaftsanalyse Verbote, Zensur und die Lösung die sie nicht sind Zoff wegen Mini-Penis Die ``Wimmel-Bücher'' von Rotraut Susanne Berner sind Kindern weltweit bekannt -- doch in den USA erscheint ihr neuer Band nicht. Grund: der Mini-Penis einer Sta- tue. CHRISTINA STICHT, dpa 7,5 Millimeter ist er klein, der Mini-Penis einer gemalten nackten Männerstatue. Doch die mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnete Rotraut Susanne Berner soll ihn wegretuschieren. Das verlangt der US-Kinderbuchverlag Boyd Mills Press. ``Das ist so absurd, ich habe es nicht geglaubt'', sagt die 58- Jährige. Berner ist bekannt für ihre ``Wimmel-Bücher'': Auf den Bildern wimmelt es von Menschen. Beim Penis des Anstoßes handelt es sich um ein winziges Detail einer Stadtszene: Im Dachgeschoss eines Hauses hatte Berner eine Ausstellung gezeichnet -- darunter einen gerahmten Frauenakt und den kleinen nackten Mann mit angedeutetem ``Pimmelchen'', wie Berner sagt. Ihre Belustigung schlug rasch um in Empörung. Die Münchner Autorin lehnte die Änderungen ab, und für den Gerstenberg Verlag in Hildesheim platzte ein lukratives Geschäft. ``Ich will nicht für etwas Läppisches zen- siert werden'', begründet Berner ihre Absage. ``Mir geht es darum, dass die Grundpfeiler der Meinungsfreiheit gewahrt bleiben.'' Besonders sauer ist die Illustratorin, weil der US- Verleger -- ``ein sympathischer liberaler Mann'' -- of- fenbar im vorauseilenden Gehorsam Fundamentalisten gegenüber die Zensur anordnete. ``Es war eine rein kommerzielle Entscheidung. Der Mann sagte immer wieder, wie peinlich es ihm ist. Aber er sprach davon, dass es Leute gebe, die Bücher angucken und dann verhindern, dass sie von Buchhandlungen und Bibliothek- en bestellt werden.'' Sie bereut ihre Absage nicht und ist froh, eine Diskus- sion ausgelöst zu haben. Andere Autoren hätten sich zähneknirschend den Wünschen des US-Marktes gebeugt. So habe Axel Scheffler schon vor 15 Jahren das Euter einer Ziege wegretuschiert. Und Ali Mitgutsch, der Er- finder der Wimmel-Bücher, sollte Bikini-Oberteile für seine Mädchen mit nacktem Oberkörper malen. [0] Link zum Bild: [1] USA leugnet Existenz von Geschlechtsmerkmalen! Wenn es nach der Regierung und der Kirche ginge, dann gäbe es gar keine Geschlechtsmerkmale. Frauen und Männer würdens stets nebeneinander schlafen und Kinder kämen per UPS. Dass es überhaupt einen Penis gibt ist sowieso ein Gerücht. Männer haben so etwas gar nicht. Und auch Frauen sind unten so uninteressant wie Schaufensterpuppen (die übrigens wegen ihrer erotischen Ausstrahlung nie unbekleidet sein dürfen). Die Penislosigkeit hält dabei auch ohne Probleme vor Gericht stand, muss man doch erst mal beweisen, dass man schon mal einen gesehen hat ... in der amerikanischen Öffentlichkeit jedenfalls nicht. Und will man keine Akte bei der ``Behörde zum Schutz der Aufrechterhaltung der Scheinmoral'', dann besser auch sonst nir- gends. Wahrscheinlich schließt das amerikanische Volk die Augen, wenn es sich der Unterwäsche entledigt ... sich da unten anzufassen käme nie in Frage -- ist da schließlich etwas das da nicht sein sollte. Zensur, Verbote und die Angst die sich dahinter verstecken will, sind Krankheiten: sie breiten sich aus; unterwandern das gesunde Gewebe. In Virginia (und der Name ist hier Programm) darf man schon Strafe zahlen, wenn man durch einen sichtbaren Streifen weißen (oder rosa) Slips die Sittsamkeit der Allgemeinbevölkerung gefährdet (... oder sie auch nur an ihre erfolgreiche Verdrängung der Dinge unter der Oberbekleidung zweifeln lässt!) Vermutlich nimmt der Hang zum Übergewicht in den USA deshalb zu, weil ein beachtlicher Bauch das unerwünschte Ding da unten überdecken kann, und vor allem man selbst muss sich nicht immer wieder an seine Existenz erinnern lassen. Und die abgemagerten Mädchen versuchen sich ihre weiblichen Formen wegzuhungern, nur um möglichst in der geschlechterlosen Gesellschaft der Zukunft nicht aufzufallen. .... und so schreibe ich von den USA, übertreibe maßlos, vereinheitliche, und bringe meine blühendsten Fantasien zu Pa- pier. Ich schreibe detailliertes Insiderwissen über ein fernes Land, das ich nie bereiste, dessen Personen ich nicht alle kenne .... ich muss es schließlich wissen! Aber wir dürfen unsere Augen nicht verschließen, müssen uns an der eigenen Nase packen, denn die Abgründe sind näher als man denkt. Wir lästern über die ferne Großmacht und schlittern derweil selbst ins Verderben oder Zensur ... wenn auch in einer anderen (gegensätzlichen) Ausprägung. Zugegeben, wir haben noch was in der Hose. Das aber unter- scheidet uns noch nicht von der Gesellschaft in Übersee, denn wo bei uns Penis und Vagina residieren, steckt bei denen Pistole und Patronen .... jederzeit schussbereit! (herrlich wie uns das ver- bindet) Und wie es in den Staaten keine Sexualität mehr gibt, geht uns die Gewalt verloren. Wir machen sie einfach weg. Es werden jetzt nicht nur ``gewaltverherrlichende'' Computer- spiele verboten, sondern auch ``gewaltbeherrschende'' Spiele. D.h. wenn es einen Weg gibt gewaltlos zu handeln, dann muss jede andere Alternative bestraft werden, damit das Spiel erlaubt ist. (Wohlgemerkt erlaubt, nicht empfohlen.) Ich spitze diese Situation viel weiter zu als es nötig wäre, denn schön, dass man merkt, dass man etwas tun sollte. Doch weiß jeder (nein: sollte wissen), dass Verbote auf lange Zeit nicht erfolgreich sind. Zudem kommen die meisten Spiele von irgendwel- chen Crackware-Servern aus dem Internet in Kinderhand ... mit Ragdoll-Physik, Splatter-Patchen und gaaaannnz viiieeelll Blu- uuuuut! Verbote und Zensur sind angstbestimmt und wie ich gerne zu sagen pflege: Angst ist eine schlechte Motivation! Angst ist defensiv -- man läuft davon. Dadurch ändert sich nichts! Man muss sich vielmehr den Gefahren stellen. Vorbild sein. Albert Einstein meint: Es gibt keine vernüftigere Erziehung, als Vorbild zu sein, wenn es nicht anders geht, ein abschreckendes. Nur muss man bedenken, dass ein Vorbild nur dann als solches angenommen wird, wenn man sich mit ihm identifizieren kann. Das ist der entscheidende Punkt. Wenn die Eltern nicht rauchen und in Filmen nicht mehr geraucht wird, dann sind deutlich schwächere Vorbilder als als die Kumpels die den Jugendraum vollqualmen. Trotzdem möchte ich diesen Ansatz nicht schlecht machen, denn man identifiziert sich während seines Lebens, und vor allem seiner Jugend, mit so vielen verschiedenen Menschen. Und dabei ist es wichtig, dass es gute Idole (oder sehr _offensichtlich_ Abschreckende sind). Ich möchte hier andeuten, dass so mancher Anti-Kriegsfilm von einigen Personen als sehr kriegsverherrlichend wahrgenommen wird. ... und sie sich dann mit den Bildern aus z.B. Full-Metal-Jacket fröhlich zum Kriegsdienst einschreiben können ... *kopfschüttel* (Anm: das Thema Kriegsfilme/Anti-Kriegsfilme ist um einiges kom- plizierter, aber es läuft immer auf das Gleiche hinaus: Die Einen bekommen das Grausen und die Anderen lächeln leicht verrückt) Aber ich will nicht über den Untergang der Gesellschaft jammern, sondern auch zu ihrem Fortbestand beitragen. Ich will sagen wo- rin ich die Zukunft sehe: Meiner Meinung nach ist Sensibilisierung und Aufklärung das was wir brauchen. Wir müssen lernen uns und unseren Nächsten die Möglichkeit der Analyse und des Erkennens bieten -- mit offenen Karten spielen. Wahrheit statt Schein. Denn: Nichts kann einen Mensch so überzeugen, als die Erkenntnis die er selbst erlangt hat! [0] Südwest Presse, 13.07.07 [1] http://www.tagesspiegel.de/storage/scl/fotos/weltspiegel/154965_m1w200q80v38252.jpg http://marmaro.de/apov/ markus schnalke