2016-07-04 digital life Die falsche Waffe Stallman und die GPL Wikitravel bietet kommerzielle freie Information -- das ist kein Widerspruch. Weil vielen aber nicht-kommerzielle Projekte lieber sind, gibt es den Fork Wikivoyage. Die beiden Projekte sind grossteils redundant. Redundanz mag man als negativ bewerten ... oder man nennt sie Wettbewerb und sieht sie positiv. Stallman sollte die vorhandene Situation wohl schaetzen: Da gibt es eine kommerzielle Firma, die freie Inhalte (CC BY-SA) produz- iert bzw. foerdert. Gleichzeitig gibt es das nicht-kommerzielle Projekt, das ebenfalls freie Inhalte schafft -- eine Bereicherung der Informationslandschaft! ... Bloss, die Realitaet ist haesslicher. While content can be legally copied from Wikitravel to Wikivoyage if attribution is provided in accordance with the CC-BY-SA license, such copying is generally discouraged due to the history of litigation between the two sites [...] [0] Meiner Meinung nach ist Stallman ein Held. Er hat Heldentaten vollbracht, fuer unser aller Wohl. Ich schaetze ihn sehr, und doch bin ich kritisch. Wir profitieren von seinen Taten und gleichzeitig leiden wir unter ihnen ... Als Stallmans groesste Errungenschaft wird gemeinhin die GPL gesehen. Diese freie Lizenz sorgt mittels eines juristischen Kniffs dafuer, dass alle abgeleiteten Werke wiederum frei sein muessen. Stallman kam aus einer Welt, in der Software nicht urheber- rechtsrelevant war. Als sich das zu aendern begann, entschied er sich, die Waffe der Wirtschaft gegen sie einzusetzen: Eine Lizenz, die die Rechte nicht einschraenkt sondern garantiert. Aber war das ein genialer Griff oder ein nur scheinbar genialer Griff mit Spaetfolgen? Die Situation zwischen Wikitravel und Wikivoyage kann Stallman sicher nicht zum Ziel gehabt haben. Leider ist sie oft genug zur Realitaet geworden. Das Problem inkompatibler freier Lizenzen ist offensichtlich, aber auch bei kompatiblen Lizenzen kann der Entwickler kaum sicher entscheiden was er wie machen darf und muss. Das gipfelt in der Situation bei Wikivoyage, wo es die gleiche Lizenz ist, aber aus rechtlichen Sorgen von syner- getischen Datentransfers abgeraten wird. Wo bleibt da der grosse Nutzen freier Inhalte? Theoretischer Nutzen hilft nicht wenn die Praxis anders aussieht. Rueckblickend (!) hat Stallman meiner Meinung nach den Fehler gemacht, deren Waffe gegen sie zu verwenden. Wenn die Waffe auch gegen sie gerichtet wurde, so bleibt es doch deren Waffe ... mit der wir uns jetzt rumschlagen muessen. Stallman haben wir es zu verdanken, dass wir Freie-Software-Entwickler heute Hobbyjuristen ein mussen, oder zumindest sollten. Darueber hinaus laesst man sich als Programmierer zu schnell ver- leiten, Lizenztexte als Programmcode anzusehen. In der Realitaet ist das Recht aber nicht mathematisch, wodurch das klare Bild der GPL-Welt auch keine Sicherheit bieten kann. Reale Faelle sind kompliziert, und komplizierte Faelle erfordern ein Abwaegen. Wie aber soll ein Freie-Software-Entwickler in so einer Welt bestehen? Und welche Hilfe bietet ihm die GPL? -- Sie traegt eher eine Mitschuld daran, dass wir heute mit diesen Waffen kaempfen muessen. Statt Software mittels GPL naeher an die Juristerei zu binden, waere es vielleicht besser gewesen, sie davon zu entfernen. Sie war urspruenglich komplett entkoppelt davon. Nachdem die Unter- nehmen sie naeher gebracht haben, hat sich Stallman scheinbar er- geben, um dann im fremden Lager zurueckzuschlagen. Aber das aen- dert nunmal nichts daran, dass wir uns nun im fremden Lager be- finden. Statt vielseitige Lizenztexte zu schreiben und diese kleinlich auszulegen sollten wir kurze Absichtserklaerungen schreiben, die gerade so Lizenzcharakter haben. (CC0 geht in diese Richtung; die MIT-Lizenz hat die passende Kuerze.) Die schoenste Nachricht in dieser Sache war fuer mich ein Kommen- tar zum Lizenzwechsel bei der Openstreetmap. Sinngemaess: Mit der Teilnahme an so einem Projekt druecke man seine Unterstuet- zung dessen grosser Ziele (in dem Fall: freie Geoinformation) aus; wenn dafuer ein Lizenzwechsel hilfreich ist, dann kann dieser als zulaessig erachtet werden, weil er dem grossen Ziel dient. Kleinliche Lizenzauslegungen, die einem solchen Wechsel widersprechen wuerden, seien dagegen nicht dienlich und, wenn auch formal korrekt, so doch sinngemaess falsch. -- Das ist die Richtung in die es gehen sollte! Natuerlich ist das weich und damit theoretisch unsicher, aber wir waeren damit in unseren Ge- fielden; hier koennten wir die Auslegungen eher inspirieren oder erkaempfen. Was die praktische Unsicherheit angeht, bezweifle ich, dass sie signifikant anders waere. Heute haben wir harte Verstoesse von Firmen gegen freie Projekte, die nicht geahndet werden -- da hel- fen auch ellenlange Lizenztexte nichts. Wenn man einem Menschen trauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Ver- trag nutzlos. [1] Gleichzeitig gaebe es wesensgemaesse Nutzungen (wie bei Wikivoy- age), auf die aus (gefuehlter) rechtlicher Unsicherheit verzi- chtet wird. Was haben wir also erreicht? Gleich viel Unsi- cherheit, effektiv gleich viele Rechtsprobleme, aber einen Kampf auf fremdem Boden und die Notwendigkeit dass Entwickler Hobbyju- risten sein muessen. Langfristig erfolgreicher erscheint mit da der Ansatz der Remix- Kultur. Statt ``korrekte'' Loesungen zu finden, waehlen sie prag- matische. -- Man kann sich Gesetzen unterordnen, oder, falls man sie fuer falsch haelt, kann man sie ignorieren oder biegen. Was lange genug, oft genug, massiv genug gebogen wird, bleibt am Ende in der neuen Form. Die Loesung des Urheberrechtsproblem sehe ich am ehesten in der Remix-Kultur ... in einer Ist-mir-egal-Haltung der Massen. Das ist das Gegenteil von Stallmans Wir-befassen-uns-damit-und- spielen-das-Spiel-mit-Ansatz. Natuerlich ist der Vergleich unfair. Mir geht es auch nicht darum Stallman zu kritisieren. Ich bin noch nicht mal der Meinung, dass die GPL daneben waere. Klar ist nur, dass die Wikitravel- Wikivoyage-Sache daneben ist ... und dass die Openssl-GPL- Inkompatibilitaet daneben ist ... und dass in einer Community, die ein gemeinsames Ziel verfolgt, Lizenzfragen und Lizenzprob- leme destruktiv und damit daneben sind. (Dafuer zumindest haette Stallman die Loesung gehabt: In einer idealen Welt stuende alle freie Software unter GPL.) [0] https://en.wikivoyage.org/wiki/Wikivoyage:Wikivoyage_and_Wikitravel [1] Jean Paul Getty http://marmaro.de/apov/ markus schnalke